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Im Spagat zwischen Bedrohung und Glückseligkeit

Eine Kritik zu Ensilumi.

Märchenhafte Sommertage, Kindergelächter, heile Welt. In Ensilumi stehen sich die Idylle des Sommers und eine sich innig liebende Familie der Realität gegenüber, die sich unweigerlich und bedrohlich ankündigt.

Auf engstem Raum, in einer Ein-Zimmer-Wohnung, lebt die Familie von Ramin - dicht auf dicht mit anderen Flüchtlingsfamilien. Es ist nur eine temporäre Unterkunft - sie hoffen darauf, dass ihnen dauerhaftes Asyl in Finnland gewährt wird. Die Eltern erstrahlen geradezu vor Liebe und versuchen alles, um den Kindern die Situation so angenehm wie möglich zu machen. Sie bemühen sich, ihre Schützlinge von den Sorgen einer drohenden Abschiebung abzuschirmen. Doch in nur einem Zimmer ist das nicht immer einfach. Selbst das Badezimmer ist nur mit einem kleinen Vorhang abgeschirmt und muss im Zweifelsfall für etwaige intime Nachfragen, beispielsweise wie man Mädchen beeindrucken könne, herhalten. Ständig kommen Freund:innen aus anderen Flüchtlingsfamilien vorbei, die gerne einmal für eine kleine Party oder einen heiteren Abend bleiben.
Der Sommer neigt sich dem Ende und für Ramin beginnt somit seine Gymnasialzeit. Er sieht sich immer mehr mit den Herausforderungen des Heranwachsens konfrontiert.
Geprägt ist der Film des Regisseurs Hamy Ramezan von warmen Farben und Streichermusik, die teils auch ein wenig melancholisch daherkommt, aber die Zuschauer:innen in eigenen glücklichen Erinnerungen wunderschöner Sommertage schwelgen lässt, an denen alles perfekt war. Diese hervorgerufene Glückseligkeit erzeugt eine tiefe Empathie zu der Familie.
Im Gegensatz hierzu steht das untergründige bedrohliche Gefühl, dass sich die Abschiebung, die sich so lange ankündigt, nun nicht mehr lange aufhalten ließe. Diese böse Vorahnung steht im Kontrast zum Gelächter der Schulklasse oder dem unbeholfenen Tanzunterricht, in dem Ramin endlich die Herausforderung meistert, seinen Schwarm zu einem Tanz aufzufordern. Schostakowichs 2. Waltzer leitet schließlich den Showdown ein.
Ein Film, der das Heranwachsen eines völlig normalen Jungen zeigt. Gemeinsam mit seinem besten Freund, der das Publikum auf Grund seiner Standhaftigkeit und Ignoranz hinsichtlich Geschlechternormen beglückt, und einer liebenden Familie, wie man sie sich wünscht, begleiten wir Ramin auf seinem Weg. Eben dies macht den Film so rund. Dass er so losgelöst von der rahmengebenden Geschichte funktioniert und darstellt, dass wir letztendlich alle die gleichen Probleme in unserer Jugend durchlaufen - ganz gleich der Herkunft.

Beeindruckend an diesem Film ist, dass es trotz der an sich schweren Thematik in erster Linie um die Familie geht und diesen bestimmten Ausschnitts ihres Lebens. Wie sie nach Finnland gekommen sind oder was nach der Abschiebung passiert wird nicht weiter thematisiert, ist aber auch nicht von Relevanz. Mit Ensilumi gelingt dem Regisseur Ramezan ein stimmiger Spagat zwischen schwerwiegender Thematik und der kindlichen Leichtigkeit eines aufwachsenden Jungen und lässt berührt zurück.

08.06.2021, Sarah Gosten

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