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Für 122 Minuten Teenager sein


"Fühlst du dich noch verbunden zu dem, was du gefühlt hast, also du so alt warst wie ich? Liegt das alles in der Vergangenheit oder kannst du diese Erlebnisse irgendwie wieder erleben?" 

Nach „Shkola nomer 3“ (2017) und „The earth is blue as an orange“ (2020) präsentiert Generation 14+ mit „Stop Zemlia“ auch bei der diesjährigen Berlinale einen Jugendfilm aus der Ukraine. Für ihren einfühlsamen Film erhält Regisseurin Kateryna Gornostai den gläsernen Bären der Jugendjury. 

Eine Schule irgendwo in Kiew. In Sequenzen unterschiedlicher Länge folgt die Kamera Schüler*innen aus der 11. Klasse und lädt die Zuschauer*innen dazu ein, am Gefühlsleben der ukrainischen Teenager teilzuhaben: Am ersten Verliebtsein, an Klassenfeiern, Schulstunden, Freundschaftsritualen, Ängsten und Selbstzweifeln. Durch unkonventionelles Storytelling und einer subtilen Erzählweise wird über 122 Minuten Spannung gehalten, ohne dass viel passiert. Genau dies spiegelt im Grunde die Lebensrealität vieler Teenager wieder. „Du wartest darauf, dass der Frühling kommt, dass die Schule vorbei ist, dass das Erwachsenenleben beginnt, dass sich jemand in dich verliebt, dass irgendetwas passiert“, erzählt Regisseurin Kateryna Gornostai im Interview mit Sebastian Markt von Generation. 
„Stop Zemlia“ überzeugt mit eben dieser unaufgeregten Darstellung des Teenagerlebens. Durch sprunghaftes Erzählen, die Nähe der Kamera zu den Protagonist*innen und deren authentische Spielweise wird eine ehrliche und offene Atmosphäre erzeugt, die Zuschauer*innen unabhängig von Alter und Herkunft in den Bann ziehen kann. 






In Ästhetik und Erzählweise des Filmes wird sichtbar, dass Kateryna Gornostais ursprünglich aus dem Dokumentarfilmbereich kommt. Die Arbeit mit den jungen Schauspieler*innen begann, bevor das Skript fertiggestellt wurde. Das ganze Team hat mit persönlichen Geschichten zur Rollengestaltung beigetragen. So verschwimmen die Grenzen von persönlichen und gespielten Erlebnissen, von Figur und Schauspieler*in, von Fiktion und Realität. 

Nicht das Storytelling, sondern die Kamera leitet die Zuschauer*in durch die Handlungsfragmente und lenkt den Blick auf kleine Details: Ein Kaugummi an Stuhl im Klassenzimmer, die rotierende Flasche kurz vor einem unvorhergesehenen Kuss, die leuchtenden Handydisplays von Masha und ihren Freunden. Es sind Bilder, die Identifikation bei Gleichaltrigen und Erinnerungen bei älteren Zuschauer*innen wecken. Man spürt Mashas Aufregung und Beklemmung bei der Party in der Turnhalle in der eigenen Brust. Man erinnert sich vielleicht an ähnliche Gespräche wie die zwischen Sasha und seiner überfürsorglichen Mutter. Man erlebt Selbstzweifel und Ängste von damals wieder. All dies wird möglich durch die subtile Erzählweise, schauspielerische Leistung und clevere ästhetische Gestaltung von „Stop Zemlia“. 




„Möchtest du mich auch irgendetwas fragen?“, fragt Regisseurin Kateryna Gornostai am Ende des Filmes ihre Hauptprotagonistin Masha. „Fühlst du dich noch verbunden zu dem, was du gefühlt hast, also du so alt warst wie ich? Kannst du diese Erlebnisse irgendwie wieder erleben?“, ist die Frage, die für den Moment unbeantwortet im Raum stehen bleibt und so an die Zuschauer*in weitergeben wird. Der Film selbst ist die Antwort auf diese Frage, denn er spiegelt das Lebensgefühl auf überzeugende Art und Weise wieder und lädt dazu ein, sich für zwei Stunden wie ein Teenager zu fühlen.
15.06.21, Liv Thastum

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