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Wo blutverschmierte Wale Normalität sind

Eine Kritik zu From The Wild Sea.

Es sind Bilder, die nahegehen müssen. Minutenlang kämpft eine kleine Robbe in der Auffangstation um ihr Leben. Minutenlang ist selbst den freiwilligen Helfer:innen nicht klar, ob sich das kleine Pelzknäul noch quält oder schon tot ist. Dann ist klar: es wird es nicht schaffen. Die Infektion war schon zu weit fortgeschritten.
Schicksale wie diese gibt es in den letzten Jahren immer häufiger entlang der Atlantikküste – wie hier im britischen Cornwell. Grund ist die Klimaerwärmung, die Stürme und Unwetter begünstigt und Meereslebewesen in ihrer Wucht brutal an die Küsten spült. From the Wild Sea zeigt die schonungslose Wahrheit: einen 19 Meter langen blutverschmierten Wal, der auf Felsen gestrandet ist und dessen Gewicht seiner eigenen Organe ihn langsam aber sicher zu zerquetschen droht. Bis die rettende Flut kommt, wird er tot sein. Die Helferinnen und Helfer können nichts mehr für ihn tun. Ölverschmierte Schwäne, deren Äußeres nichts mehr mit den weißen anmutigen Vögeln zu tun hat, die sie einmal waren. Eine einäugige Robbe, der ein Fischernetz den Sauerstoff abgeschnürt hat. Aber es gibt auch Menschen, die diesem Wandel entgegenwirken und sich engagieren. In langen Shots zeigt Regisseurin Robin Petré wie eine Tierschützerin minutenlang den Kiefer einer jungen Robbe akribisch nach Schwellungen untersucht. Das kleine Tier faucht. Dann führt sie ihr einen dünnen Plastikschlauch ins Maul, um sie wieder aufzupeppeln. Auffällig viele weibliche Helferinnen kümmern sich um die verletzten Robben, Delfine und Schwäne. Die Tiere, die durchkommen werden auf Tragen sorgfältig wieder ins Meer geleitet. Besonders bei gestrandeten Walen handeln viele Menschen instinktiv falsch, erklärt ein Helfer. Gutgemeinte Versuche, die Wale immer wieder ins offene Meer zu treiben, sei enormer Stress für sie. Der richtige Weg: die Auffangstationen kontaktieren, die Tiere verarzten und sie gezielt wieder ins Meer zu leiten. Auch diese lebenswichtige Aufklärungsarbeit leisten die Freiwilligen – und somit auch dieser Film.

Die Zuschauenden sind lediglich Beobachtende, die die Helferinnen und Helfer bei ihrer Arbeit begleiten. Dadurch bekommen sie einerseits Einblicke in die erschreckend weit fortgeschrittenen Ausmaße der Klimakrise, werden andererseits aber auch darauf aufmerksam gemacht, wie sie sich engagieren können.

Ein emotionaler und eindrücklicher Film, der mahnt: die Klimauhr tickt.

Samstag, 12. Juni '21, Vivien Krüger

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