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„You’ve always been there, you’ve never let me down. And you’ll always be my family“


Eine Kritik zu La Mif

Laute Auseinandersetzungen und Rangeleinen, dann wieder versöhnendes Tischkicker-Spielen und Gespräche über die neu entdeckte Sexualität, Ängste oder Gott und die Welt.

„La Mif“ portraitiert eine Gruppe junger Mädchen, die zusammen in einem Kinder- und Jugendheim leben. Jede hat ihre eigene Geschichte und Probleme, eines haben sie alle gemeinsam: Sie können nicht bei ihren Eltern leben. Die Betreuer:innen tun ihr Bestes, um den Jugendlichen ein sichereres und vertrauenswürdiges Zuhause zu geben und müssen dabei so einige Probleme und Schwierigkeiten überwinden.

Teilweise fiktional, teilweise dokumentarisch erzählt der Regisseur und Drehbuchautor Fred Baillif vom gemeinsamen Leben in der Wohneinrichtung, indem er nacheinander den Alltag, die Probleme und Gefühlswelt jedes Mädchens einzeln betrachtet und der Handlung Zeit gibt, sich zu entfalten. Zwischendurch führt der Erzählstrang immer wieder auf Lora, die Heimleiterin zurück, die sich mit unendlicher Ausdauer und Sorgfalt jedem Mädchen widmet, versucht alle Probleme zu lösen und dabei selbstlos alles dafür tut eine Vertrauensperson zu sein.

Wie viele rote Fäden schlängeln sich die einzelnen Geschichten durch den Film und verflechten sich zu einem Strang, untermalt mit ruhigen Bachpräludien. Während die Zuschauenden anfangs noch überfordert von den vielen Charakteren und Einzelschicksalen sind und die Wohneinrichtung durch alle Geschehnisse unübersichtlich wirkt, werden nach und nach Hintergründe klar und das Publikum erlebt ein Gefühl von Vertrautheit und Verständnis. Je weiter der Film fortschreitet, desto mehr Druck und Spannung wird diesem verflochtenen Strang ausgesetzt und scheint beinahe komplett zu zerreißen, als auch Lora ihn nicht mehr zusammenhalten kann.
Gerade die Authentizität der jungen Darstellerinnen sowie die intime Kameraführung assoziieren dem Publikum eine unfassbare Nähe und Teilhabe an den Problemen. Nachdem die letzten Sekunden des Filmes verstreichen, bin ich zurückgelassen mit dem Kopf voller Fragen: Wie kann ein System die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen als Ziel setzen, wenn gegebene Strukturen andauernd auseinandergerissen werden und trotz Traumata die Rückführung zur Familie das größte Ziel ist? Kann ein Heim, in welchem Du neben deinem eigenen Schicksal noch mit den Problemen duzender andere Aufwachsenden konfrontiert wirst, wirklich ein gutes Zuhause sein? Wie sollen die Kinder und Jugendliche Vertrauenspersonen finden und ihre Traumata verarbeiten, wenn selbst die Betreuer:innen ihre eigenen Probleme verarbeiten müssen und dazu noch gegeneinander arbeiten?

Ungeschmückt und ehrlich deckt „La Mif“ die Schwierigkeiten und Probleme eines betreuten Jugendheimes und dem System dahinter auf, das manchmal mehr nach Ordnung und dem Gesetz, als nach dem Wohl der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet zu sein scheint. Was ich aus dem Film lerne: Jeder Mensch hat seinen eigenen, schweren Rucksack zu tragen und nur wenn alle sich gegenseitig unterstützen, zusammenarbeiten und das Wohl aller Menschen an erste Stelle stellen, könne Probleme aufgearbeitet und gelöst werden.

Ein starker und mitreißender Film - große Empfehlung meinerseits für den Schweizer Film „La Mif“. Zu sehen ist „La Mif“ am Samstag, 12.06.2021, 21:30 Uhr im Freiluftkino Rehberge und am Montag, 14.06.2021, 21:45 Uhr Freiluftkino Pompeji.

09.06.2021, Clara Bahrs

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